Das Jahr 2019 wird für Portugal ein Jahr weitreichender politischer Entscheidungen. Am 26. Mai stehen die Wahlen zum Europäischen Parlament an. Wie sich die 21 dem Land zustehenden Sitze verteilen werden, gibt auch Aufschlüsse darüber, wie es um den Rückhalt der Regierung von António Costa in der Bevölkerung bestellt ist. Seit November 2015 regieren seine Sozialisten (PS), toleriert von Kommunisten (PCP), Linksblock (BE) und Grünen (PEV). Ein Novum in der Geschichte. Nach der mit Hilfe der Sozialisten eingehegten Nelkenrevolution blieben PS und PCP lange feindliche Brüder. Am 25. April 1974 war der klerikalfaschistischen, von António de Oliveira Salazar errichtete Diktatur ein Ende bereitet worden. Im Herbst folgen dann Wahlen zur Versammlung der Republik. Als Termin bestimmte Staatspräsident Marcelo Rebelo de Sousa den 6. Oktober. Die Einwohner der Autonomen Region Madeira bestimmen zudem bereits am 22. September über ihr Regionalparlament. Kein Wunder also, dass die Debatten über den weiteren Kurs des Landes auch in den Medien an Fahrt gewinnen.
Trotz zerstrittener konservativer Opposition und guter Umfragewerte für die PS werden die Wahlen für sie kein Spaziergang. Denn den Portugiesen geht es dank der Rücknahme von Kürzungen und mehr Beschäftigung zwar besser als auf dem Tiefpunkt der Krise am Anfang des Jahrzehnts, aber große Sprünge können sich weiter nur die wenigsten leisten. Jeder fünfte ist arm oder von Armut gefährdet. Die zu Jahresbeginn erfolgte Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns auf 600 Euro ist aus Sicht der Gewerkschaften ein zu kleiner Schritt. In den vergangenen Monaten erlebte Portugal eine regelrechte Streikwelle. Betroffen waren Flughäfen und U-Bahnen, Häfen und der öffentliche Dienst. Auch Pflegekräfte und Wachleute traten für bessere Löhne in den Ausstand.
Was liegt da näher, als die Frage zu stellen, ob Portugal nicht einen »neuen Salazar« bräuchte. Dachte man sich bei TVI. Der 1993 gestartete private Fernsehsender besitzt seit Jahren unter Portugals TV-Anstalten den größten Zuschauermarktanteil. In einer Facebook-Umfrage des TVI-Moderators Manuel Luís Goucha vor zwei Wochen wünschten 38 Prozent der Teilnehmer dem Land einen starken Mann. Zwar sind Gruppierungen Ewiggestriger wie die ultrarechte Kleinpartei PNR, die jüngst auf Großplakaten in Lissabon Brasilien zur Wahl des Faschisten Jair Bolsonaro beglückwünschte, politisch bislang bedeutungslos. Doch die Behörden registrieren seit 2017 eine deutliche Zunahme von Aktivitäten aus dieser Ecke, vor allem im Internet. Dank TVI durfte am 3. Januar Portugals bekanntester Neonazi seine Blase verlassen und an der Talkshow »Você na TV« (Sie im Fernsehen) mitwirken. Die lasche PNR hat er hinter sich gelassen, nun ist Mário Machado Repräsentant von NOS (»Nova Ordem Social«). Anfang Februar möchte die Gruppe in Lissabon für einen erneuerten Salazarismus demonstrieren. Zu Beginn der Plauderei begründete Goucha die Einladung des ungewöhnlichen Gastes durch seinen Sender. Er habe diese selbstverständlich akzeptiert, »denn wir leben in einer Demokratie«, alle seien mit ihren Standpunkten willkommen.
Der Teilnehmer am TVI-Ideenwettbewerb besitzt ein langes Vorstrafenregister. Wegen Gewaltverbrechen saß er insgesamt zehn Jahre hinter Gittern. Lange aktiv in neonazistischen Skinheadvereinigungen wie den Hammerskins, war Machado am 10. Juni 1995 beteiligt, als eine solche Gang in Lissabons Viertel Bairro Alto den jungen Kapverdier Alcino Monteiro totschlug. Nun sieht sich der Sender mit einer Welle der Empörung konfrontiert. In einem offenen Brief beklagen Hunderte Prominente und Initiativen, dass Medien – wie TVI – Rassisten und Faschisten »deren Ideen legitimierend und normalisierend« zu Wort kommen lassen. Während Portugals Presserat ERC am Mittwoch mitteilte, keine Handhabe zu haben, zogen Antifaschisten mit massenhaften Beschwerden bei Facebook Hunderten NOS-Seiten den Stecker.
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